Der Internet-Bericht 2004 von „Reporter ohne Grenzen“ zeigt neue und bekannte Mißstände auf: Seit dem 11. September 2001 erfahre die Meinungsfreiheit im Internet stärkere Einschränkungen. Grund: neue Terrorismusbekämpfungsgesetze – auch in demokratischen Staaten.

„Die weltweite Überwachung im Internet nimmt zu – nicht nur in autoritären Regimen, sondern auch in Demokratien. Und dort meist ohne öffentliches Interesse“. Dies ist das Fazit des neuen Berichts „The Internet under Surveillance“ der Menschenrechtsorganisation
Reporter ohne Grenzen (RoG). Maßnahmen im Kampf gegen Terrorismus, Pornographie, Rechtsextremismus und Urheberrechtsverletzungen hätten in verschiedenen westlichen Demokratien eine Reihe von repressiven Gesetzen bewirkt. Das „Recht auf freie Meinung sowie die Privatsphäre“ bleibe auf der Strecke: „Die Freiheit im Internet ist daher in den meisten Demokratien inzwischen wesentlich weniger gesetzlich geschützt als die Pressefreiheit in den traditionellen Medien“, kritisiert RoG. Dies kritisieren die Menschenrechtler auch für Deutschland .

Altbekannte Sünder – verschiedene Methoden

In Ländern, die eine freie Meinungsäußerung nicht zulassen– die Liste von RoG ist lang und umfasst die meisten Länder in Asien und im Nahen Osten, aber auch Ferienparadiese wie die Malediven – sind Überwachungsmaßnahmen und Blockadeaktionen für unerwünschte Inhalte schon länger an der Tagesordnung. Dabei seien die Methoden unterschiedlich: Länder wie Kuba, Burma und Nordkorea würden nur wenigen Menschen überhaupt einen Zugang zum Internet gewähren. In Kuba etwa sei der Verkauf von Computern streng reglementiert. Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise gäben offen zu, dass sie das Internet filtern.

China habe dabei das ausgefeilteste System entwickelt. Laut Bericht ist es das Land, in dem die Technologie für das Abfangen von E-Mails und die Internet-Zensur am weitesten fortgeschritten sei. Die Regierung habe es geschafft, die Verbreitung des Internets gleichzeitig zu fördern und einzuschränken. Nach den USA ist China das Land mit den meisten Internetnutzern. Hohe Wachstumsraten (Verdoppelung innerhalb von 18 Monaten) lassen vermuten, dass es hier bald führend sein wird. Die Kontrolle des Internets wird vereinfacht, da es nur fünf Hauptleitungen (backbones) bzw. Zugangsknoten zum Internet gibt, die der gesamte Datenverkehr unabhängig vom Anbieter durchlaufen muss. Das US-amerikanische Unternehmen Cisco hat China mit mehreren Tausend Routern beliefert, bei deren Programmierung Cisco-Ingenieure behilflich waren. Damit könne der Datenverkehr von den Behörden eingesehen und „subversive Schlüsselwörter“ ausfindig gemacht werden. Die Polizei könne erkennen, wer verbotene Internetseiten besuche oder unerwünschte E-Mails schreibe. Mit derzeit 63 Infhaftierten wird China als „das größte Gefängnis für Cyber-Dissidenten“ bezeichnet.

Auch die Blockade von Internetseiten sei in China weit fortgeschritten – Hunderttausende von IP-Adressen und Domain-Namen seien unzugänglich. Dabei bedient sich das Regime durchaus auch des wirtschaftlichen Interesses ausländischer Unternehmen: Yahoo habe beispielsweise, um seinen Marktanteil in China zu sichern, zugestimmt, die chinesische Version seiner Suchmaschine zu zensieren und die Diskussionsforen zu überwachen. Ein beliebtes Instrument sei auch das Kapern von Internetseiten – die Nutzer werden dabei zu einer ungültigen Adresse oder Seiten mit Propagandamaterial umgeleitet.

UN-Gipfel Gastgeber in der Kritik

Zu ähnlichen Maßnahmen greife Tunesien, das besonders ins Visier von Kritikern geraten ist, nachdem es als Tagungsort für den zweiten UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) 2005 gewählt wurde. So berichtet RoG über hohe Haftstrafen für sechs junge tunesische Internetnutzer. Sie sollen terroristische Anschläge geplant und Kontakte zum Terrornetzwerk Al Qaida haben- als Beweise dafür dienten Internet-Dateien und laut RoG vermutlich erzwungene Geständnisse.

In Tunesien sollen alle Provider unter Regierungskontrolle stehen, Internet-Cafés überwacht sein und eine „Cyber-Polizei“ blockiere kritische Homepages. Bei der
ersten Vorbereitungskonferenz in Tunis kam es prompt zum Eklat: Die Gruppe der internationalen Zivilgesellschaft überließ einen Teil ihrer Redezeit einer Vertreterin der „Tunesian Human Rights League“, aber „Regierungsspitzel“ ließen sie kaum zu Wort kommen.

Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 würden „die Rechte von Internetnutzern, Website-Betreibern und Online-Journalisten weltweit zunehmend eingeschränkt “, bilanziert RoG. Die Organisation hat für ihren Bericht die Pressefreiheit im Internet in 60 Ländern untersucht. Der internationale Verlegerverband
forderte jüngst, das Internet unter den vollen Schutz des Artikels 19 (Meinungsfreiheit) der UN-Menschenrechtserklärung zu stellen.

USA

Während man einerseits ein Programm gestartet hat, das weltweit die Zensur im Internet bekämpfen soll, kam es andererseits im eigenen Land zur Verabschiedung des „Patriot Act“, der der Bekämpfung des Terrorismus dienen soll. Das Gesetz verstärke die Eingriffs- und Überwachungsrechte des FBI massiv; der Datenschutz würde eingeschränkt. Gleichzeitig werde die Kontrolle dieser Maßnahmen durch Gerichte stark begrenzt. Menschenrechtsorganisationen liefen Sturm gegen diese Regelungen – ebenso wie gegen den „Children’s Internet Protection Act“ (CIPA), der öffentliche Bibliotheken dazu zwinge, pornographische Internetseiten zu blockieren. Problematisch an dieser Vorschrift sei, dass die Filter durch zu allgemeine Suchwortwahl in der Regel auch Seiten unterdrückten, die keine pornographischen Inhalte hätten. Dadurch sei ein wesentlicher Teil des Internetangebotes unzugänglich, berichtet RoG.

Europas Weg in die Überwachung

Auch das „alte Europa“ ist laut Bericht inzwischen nicht mehr unbefleckt. Mit Blick auf Produktpiraterie im Musik- oder Softwaresektor sowie auf die innere Sicherheit, die durch Terrorismus oder Kinderpornographie im Netz bedroht sei, wurden umstrittene EU-Direktiven erlassen, die in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssen. Dazu gehöre eine Bestimmung vom Juli 2002, die Internet Service Providern (ISPs) und Telefonunternehmen vorschreibe, alle Protokolle über E-Mail-, Telefon-, Fax- und Internetaktivitäten ihrer Kunden aufzubewahren. Gleichzeitig sollen Polizei, Gerichte und Regierungseinrichtungen freien Zugang zu diesen Daten erhalten. Einige Mitgliedsstaaten wehrten sich gegen einen derartigen Eingriff in den Datenschutz und weigerten sich, die Direktive umzusetzen. Die EU-Kommission ergriff laut RoG daraufhin juristische Maßnahmen gegen neun Länder, die keine entsprechenden Gesetze erlassen hatten. Ähnlich sei es mit der E-Commerce-Direktive, die ISPs auch für Inhalte verantwortlich mache – sie sei nur von drei Ländern (Frankreich, Niederlande, Portugal) angenommen.

Der
vollständige Internetbericht von Reporter ohne Grenzen ist im Internet abrufbar.