Die elektronische Gesundheitskarte kommt. Nur wann? Weil die Selbstverwaltung bislang zu keiner Einigung kam, ermöglichte Ulla Schmidt per Verordnung erste Testreihen. In Österreich häufen sich derweil Pannen und Bedenken.

Bis Ende 2006 sollen 80 Millionen Krankenversicherte in Deutschland eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) erhalten. So will es Ulla Schmidt. Das Projekt ist Teil der Gesundheitsreform und gilt als eines der größten IT-Infrastrukturprogramme hierzulande. Die digitale Vernetzung der rund 270.000 Ärzte, 77.000 Zahnärzte, 2.000 Kranken- häuser, 22.000 Apotheken und über 300 Krankenkassen soll letzt-endlich Einsparungen in Milliardenhöhe bringen. Allein durch das digitale Rezept sollen eine Milliarde Euro jährlich eingespart werden können. Neben dem digitalen Rezept wird die Karte auch ein Foto und den europäischen Krankenversicherungsausweis enthalten. Weitere Funktionen, etwa die digitale Patientenakte, sollen später hinzu-kommen und für den Einzelnen freiwillig sein. Zusammen mit der eGK wird auch ein elektronischer Heilmittelausweis eingeführt. Erst dieser berechtigt künftig zum Zugriff auf sensible Patientendaten.

Bislang keine Einigung in der Selbstverwaltung

Die Umsetzung des Vorhabens und der künftige Betrieb obliegt der Selbstverwaltung, also den Spitzenorganisationen der Kranken-kassen, Apotheken und Ärzte, die eigens dafür die
Projektgesellschaft Gematik gegründet haben. Bis zum 31. Dezember 2005 sollte dort die Lösungsarchitektur zur eGK erarbeitet werden. Doch die fünfzehn Spitzenverbände sind in Einzelfragen unterschiedlicher Meinung. Streitpunkte sind neben der Finanzierung auch die Datenspeicherung. Die Krankenkassen wollen die Patientendaten zentral auf Servern speichern. Ärzte und Apotheker lehnen dies ab und möchten möglichst viele Daten auf der eGK selbst unterbringen. Der Patient solle so Herr seiner Daten bleiben.

Da bislang keine Einigung erzielt werden konnte und sich die ge-planten Tests somit verzögerten, hat die Bundesregierung der Selbst-verwaltung die Handlungsbefugnis entzogen und Anfang November Testläufe per Verordnung ermöglicht. Am Termin zur flächen-deckenden Einführung der Karte bis Ende 2006 hält die Gesundheits-ministerin aber fest.

Einzelne Vertreter der Kassen und Ärzte warnen indes vor Schnell-schüssen und wollen sich bei der Problemlösung lieber Zeit lassen, berichtet das Zahnarztmagazin zm (Nr. 4/2004; Nr. 21/2005). Aus dem Gesundheitsministerium
verlautete bereits, die Projektgesellschaft Gematik im Falle weiterer Unstimmigkeiten wieder per Verordnung umgangen werden soll.

Industrie in Aufbruchstimmung

Die Stimmung bei den im Konsortium bIT4health zusammen- geschlossenen Unternehmen dürfte also bestens sein. IBM Deutschland, der Chipkartenhersteller ORGA, SAP, der Patienten-aktenspezialist
InterComponentWare sowie das
Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation hatten bereits das technische Strukturkonzept erarbeitet. Sie dürfen nun mit Auftragseingängen in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro rechnen.

Unterstützung finden die Unternehmen bei den Industrieverbänden BDI, BITKOM und ZVEI und dem Hartmannbund, die mit ihrer Studie
„Monitoring eHealth Deutschland 2005/2006“ die Vorbereitungen in Deutschland auf gutem Weg sehen.

Carsten Kreklau, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, erklärte anlässlich der Vorstellung der Studie am 5. Oktober 2005 in Berlin:

„An der Schnittstelle von Medizintechnik und Kommunikationswirt-schaft entsteht ein interessanter, rasch wachsender Markt.“ Damit Deutschland zum Leitmarkt der neuen Technologie werden könne, sollten neben dem elektronischen Rezept möglichst viele zusätzliche Anwendungen integriert werden.

BITKOM-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder sagte, die Gesund-heitskarte könne für Deutschland ein Referenzprojekt im inter-nationalen Geschäft werden. Man dürfe sich aber keine weiteren Verzögerungen leisten, weil im laufenden Jahr derartige Karten in Österreich und Italien eingeführt würden.

Beispiel Österreich – Big Brother Award für die Ministerin

Steht in Deutschland unter Zugzwang? Beim
ZDF-Politmagazin Frontal 21 bedauerte man schon mal die Verzögerung der Gesundheitskarte und die österreichische Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat erklärte, das im Juni dieses Jahr eingeführte System in Österreich bewähre sich bereits und sorge für Kosten-senkung.

Was sie nicht erzählte, erfahren wir aus österreichischen Medien. So war die Einführung der eCard von etlichen Pannen begleitet. Ende September kam es gleich zweimal zu kompletten
Systemabstürzen . Außerdem beklagt sich die Ärzteschaft über den jetzt größeren Zeit-aufwand für Abrechnungen.

Auch der österreichische Rechnungshof kritisierte das Projekt wegen der hohen Mehrkosten, die durch Managementfehler zu Stande gekommen waren. Die neue Hardware in den Arztpraxen sei Mangels Kostenvergleich und Mangels des Einsatzes von Standardhardware zu teuer geraten.

Zudem mehren sich datenschutzrechtliche Bedenken. Der öster-reichische Medizinsoftware-Hersteller OMS verweist auf Fälle, in denen das Arbeitsamt bei Erwerbslosen wegen fehlenden Unterlagen Einträge in die zentrale Versicherungsdatei vornahm, die von der Karte als Sperre interpretiert wurden. Beim Einlesen der Karten in der Arztpraxis erschien die Meldung „kein Versicherungschutz“.

Nicht nur deswegen wurde der österreichischen Gesundheits-ministerin Maria Rauch-Kallat der Big Brother Award in der Kategorie Politik verliehen. „Gesundheitstelematikgesetz und Vorsorgeunter-suchung-Neu brachten die klare Entscheidung“, heißt es in der Begründung der Jury. Mit der neuen Vorsorgeuntersuchung werden in Österreich Daten zur Freizeitgestaltung, Alkohol- und Nikotinkonsum personenbezogen an die Sozialversicherungen gemeldet, dort zentral gespeichert und im Rahmen der neuen Infrastruktur abrufbar.

Auch deutsche Ärzte warnen vor einer Aushöhlung ihrer Schweigepflicht. Denn seit 2004 müssen die kassenärztlichen Vereinigungen personenbezogene Patientendaten, also auch die Behandlungsart, zu Abrechnungszwecken an die Krankenkassen übermitteln.

Der deutsche
Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht aber auch Chancen bei der Einführung der eGK. Er sagte der Stuttgarter Zeitung (Interview vom 3. August 2005), schon heute gebe es keinen hundertprozentigen Datenschutz. Es komme darauf an, das System so sicher zu machen, dass auf jeden Fall ein Plus auch in den Punkten Datenschutz und Datensicherheit gegenüber dem derzeitigen Zustand erreicht werde.

Mann darf gespannt sein auf die deutsche Version der Gesundheitskarte. Abzuwarten bleibt, ob der Datenschutz letztendlich eine höhere Priorität genießen wird als erhoffte Effizienzgewinne und Kostentransparenz.