Start der Serie: „Online-Kommunikation der Regierung“ am Beispiel der Kampagnenseite zur Gesundheitsreform, die gerade einen Refresh erhalten hat. Wie Clara und Ulla im Netz den Erfolg der Agenda 2010 verkaufen.


Start der Serie: „Online-Kommunikation der Regierung“ am Beispiel der Kampagnenseite zur Gesundheitsreform, die gerade einen Refresh erhalten hat. Wie Clara und Ulla im Netz den Erfolg der Agenda 2010 verkaufen.

Dass gute Politik ohne gute Kommunikation nicht möglich ist, ist fast schon so etwas wie eine Binsenweisheit. Die Vermittlung der Inhalte von Politik wird mehr und mehr zu einer kritischen Größe. Die Regierung, die SPD und ihr Ex-Vorsitzender können davon ein Lied singen. Schließlich trat Bundeskanzler Gerhard Schröder auch wegen „Vermittlungsproblemen“ als Parteivorsitzender zurück.

Die Reformen von Arbeitsmarkt und Sozialsystem sind Kernpunkte der Regierungspolitik. Sie sollen Deutschland zukunftsfähig machen und nachhaltig die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft sichern. Bei dieser Zielsetzung liegt es nahe, die Kommunikationsfähigkeit der Bundesregierung im „innovativen Medium“ Internet zu betrachten. Kann eine Regierung mit Online-Kommunikation Probleme lösen?

Massenmedium Internet

Das Internet bietet Informationen in Hülle und Fülle und ist zum Massenmedium geworden, wenngleich mit anderer Funktionalität als Bild, BamS und Glotze: der direkte Zugang zum Bürger mit Rückkanal. Die Nutzer haben die Möglichkeit, direkt auf die Informations-Angebote der Regierung zu reagieren, sei es in Foren, im Chat, per E-Mail oder mit eigener Internetseite. Der Bedarf ist hoch – wie ist das Angebot? Der erste Teil unserer Serie stellt die „Online-Kommunikation der Regierung“ am Beispiel der Kampagnenseite zur Gesundheitsreform dar.

Die Online-Kampagne des Gesundheitsminsiteriums: www.die-gesundheitsreform.de



www.die-gesundheitsreform.de
Kaum ein Reformthema war so heftig umstritten wie die Gesundheitsreform, selten war der Informationsbedarf so hoch wie zum Reizthema Praxisgebühr. Keine leichte Aufgabe für das Gesundheitsministerium von Ulla Schmidt (SPD), so unterschiedliche Gruppen wie Patienten, Journalisten oder „Partner“ der Selbstverwaltung wie Kassenmitarbeiter oder Ärzte mit richtigen Infos zu versorgen. Denn die Einigung über die Reform zwischen Regierung und Union kam spät. Daher war zu Beginn das Hauptanliegen der Kampagnenseite die-gesundheitsreform.de, den politischen Prozess der Gesetzgebung und Inhalte und Ziele der Gesundheitsreform zu verkaufen.

Selbstvermarktung

Mit dem Refresh der Seite am 22.7.04 wird auf die veränderte politische Situation reagiert. Die Bundesregierung gibt jetzt optimistisch und selbstbewußt die Losung aus: „Die Reform wirkt.“ „Nach gut sechs Monaten Gesundheitsreform zeigt sich: Es ist Bewegung in unser Gesundheitssystem gekommen“, sagt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Die Kampagnenseite wird zu einem „Bürgerportal“ weiterentwickelt. Der Bürger soll fit für die Veränderungen gemacht werden: Stichwort „Eigeninitiative“ und „Selbstverantwortung“. „Wer sich kümmert, wird belohnt“, sagt Ruth Rumke, Referatsleiterin Öffentlichkeitsarbeit im Bundesgesundheitsministerium (BMGS). „Nur wer umfassend informiert ist, kann sich um seine Belange effektiv kümmern, aktiv mitsprechen und eigenverantwortlich handeln.“

Soziale Software

Seit dem Start von
die-gesundheitsreform.de begrüßt Clara die Nutzer. Clara ist ein Avatar, auch wenn die Verantwortlichen lieber von einer „virtuellen Ratgeberin“ sprechen. Sie greift auf eine Datenbank zu, um eingetippte Fragen zu beantworten. Wenn sie nicht weiter weiß, soll ein Bürgertelefon per Chat oder per Call Center helfen. Hier beantworteten dann echte Menschen die Fragen. Clara war laut Redaktionsbüro so beliebt bei den Besuchern, dass sie während eines „Fortbildungsurlaubs“ im Frühjahr von den Nutzern vermisst wurde.

Der üppige Pressebereich verrät den weiteren Schwerpunkt der Seite: Die informationshungrige und kritische Presse mit Material versorgen, um den Berichten den richtigen Dreh zu geben. Neben Pressemitteilungen, Informationsmaterialen und Experteninterviews werden Videos einer Netzreporterin oder O-Töne der Ministerin als mp3-Dateien angeboten. Interessant ist die Guided Tour-Funktion. Im Netzpiloten-Rundflug wird der Nutzer zu anderen relevanten Seiten aus dem Feld der Gesundheitsvorsorge geführt.

Hi-Tech oder Low-Tech

Mit Avatartechnik, Multimedia-Angeboten, Guided Tours und dem Bürgertelefon bietet die Seite mit das Modernste der Kommunikationstechnik an. Das Ziel ist klar. Die Fragen sollen möglichst direkt und eindeutig beantwortet werden. Missverständnisse sollen vermieden werden – und müssen ob des rauschenden Blätterwaldes wohl auch. Die Informationen seien gut aufbereitet, sprich wenig Behörden-Deutsch und die Seite sei barrierefrei navigierbar.

Die Eindeutigkeit der Kommunikation wird mit einem hohen Grad an Technikeinsatz erkauft. Nicht jedem Bürger dürfte klar sein, wie Avatar, Chat und Pilot funktionieren. Kritiker bemängeln, dass Multimedia-Anwendungen nur von Multiplikatoren oder „Heavy Usern“ genutzt würden. Und der digitale Graben Deutschlands sei breiter als Internet-Enthusiasten es sich wünschen. Noch dominieren in Deutschland die langsamen Modem-Verbindungen und etwas schnelleren, aber schmalspurigen ISDN-Zugänge. Werden so die uninformierten Massen in den Wartezimmern der Republik verfehlt?

Können 1,3 Millionen irren?

„In den ersten drei Wochen hatte Clara 30.000 Dialoge“, berichtet Dietrich Boelter, Geschäftsführender Gesellschafter von Ahrens & Bimboese. face2net, die für das Ministerium die Kampagnenseite betreuen. Auch sei die Länge der Dialoge mit der „Mensch-Maschine“ Clara ein Erfolg. Jeder Dialog bestand durchschnittlich aus 9,5 Fragen und 9,5 Antworten. „Danach hat Clara durchschnittlich 10.000 Dialoge im Monat.“ Weniger als gedacht wurde der Chat genutzt. „Über 1,3 Millionen Menschen haben sich bislang auf der Website informiert. Das ist für eine Informationsplattform ein großer Erfolg“, sagt Rumke.

Das Medium ist die Botschaft

“Die gesamte Aufbereitung des Portals und die interaktiven Elemente auf der Site dokumentieren die moderne Form der Regierungskommunikation seitens des BMGS”, sagt Boelter. Im Kommunikationsmix von Regierung und Ministerien wurde die Meßlatte mit dem Internetportal hoch gelegt, in der Hoffnung, dass das Internet als Instrument der Bürgerkommunikation mit seinem speziellen Mehrwert erkannt wird. „Sie ist zentraler Bestandteil der Kampagne. Mit den erreichten Zielen bin ich sehr zufrieden,“ bilanziert Rumke. Wenn die Kampagne im Zweifel mit Kanonen auf Spatzen schießt, ist sie mindestens eine gute Kampagne für das Medium Internet.