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Der Band „Digitale Politikvermittlung. Chancen und Risiken interaktiver Medien“ widmet sich der Beeinflussung von politischen Diskursen und politischer Willensbildung durch neue Medien. In über 30 Beiträgen wird dem Potential und den Risiken digitaler Medien aus theoretischen sowie praktischen Perspektiven nachgegangen.

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Friedrichsen, Mike; Kohn, Roland A. (Hg.): Digitale Politikvermittlung. Chancen und Risiken interaktiver Medien. Wiesbaden: Springer VS 2013. 525 Seiten, Preis: 49,95 Euro. ISBN 978-3-658-01125-3

In der neuen Publikation, herausgegeben von Mike Friedrichsen, Professor für Media Economics and Media Innovation in Stuttgart, und dem ehemaligen Mitglied des Bundestags für die FDP Roland A. Kohn, kommen Stimmen aus Wissenschaft, Politikberatung, Politik sowie aus der gesellschaftlichen Praxis zu Wort. Die rund 30 Autoren beschreiben darin, wie digitale Medien in ihren jeweiligen Bereichen in unterschiedlicher Weise genutzt und beobachtet werden.
Der erste Teil des Buchs widmet sich zunächst dem Einfluss der neuen Medien auf die Veränderung der politischen Kommunikation. Die zunehmende Abwendung der Menschen von der Politik zeige ein Kommunikationsproblem bei deren Vermittlung auf. Die Beiträge beschäftigen sich hier mit der Veränderung der vermittelnden Rolle journalistischer Medien von Print zu Online, der Veränderung von (politischen) Symboliken, Mediennutzung sowie Meinungsbildung im Internet.
Besonders hervorzuheben ist ein Beitrag des Wirtschafts- und Politikberaters Hauke Laackmann, der „Die Rolle der Medien im gesellschaftlichen Legitimitätskonstrukt“ analysiert. Danach „haben Medien als Organisationen eine besondere Rolle als Wächter der Transparenz und Motor einer andauernden Hinterfragung der aktuellen Legitimitätsanforderungen. Dies ist jedoch kein eindimensionaler Vorgang, in dem die Medien einseitig Botschaften in die Gesellschaft einspeisen, sie sind ebenfalls dazu angehalten, gesellschaftliche Tendenzen publik zu machen und damit auf mögliche Missstände im gesellschaftlichen Machtverhältnis hinzuweisen.“

Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit?

Im zweiten Teil wird der Blick verstärkt darauf gerichtet, dass sich durch das Internet ein neuer Strukturwandel der (politischen) Öffentlichkeit vollziehe. Hier gibt es einige skeptische Beiträge zur Unübersichtlichkeit der Informationsflut im Internet, die sich als Warnungen verstehen lassen. In anderen Beiträgen, wie dem des langjährigen Journalisten und Professors für Medienwissenschaft Jens Wendland, werden genau diese skeptischen Betrachtungsweisen kritisiert: „besonders starke, verfestigte, wenn nicht geschlossene Gesellschaften verhalten sich in der Regel gegenüber Innovationen defensiv, abwehrend. Kulturelle Traditionen, soziokulturelle Muster und Konventionen dienen als Schutzschirm gegen Umwälzungen und Untiefen fundamentaler neuer Entwicklungen.“ Man könnte darüber hinaus gegen solche konservativen Positionen entgegnen: Um einem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit zu begegnen, bedarf es der Förderung von politischer Urteilskraft. Christopher Gohl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weltethos-Institut Tübingen, beschäftigt sich in seinem Beitrag zudem mit der Ethik digitaler Kollaboration, durch die neue Formen der kollektiven Intelligenz geschaffen werden können.

Digitale Politik und Partizipation

Der dritte Teil des Bandes konzentriert sich wesentlich auf die Grundpfeiler von demokratisch verfassten Gesellschaften: Transparenz, Legitimation und Partizipation. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, „ob der neue Medientyp den politischen Partizipationsprozess und dessen Grundlage neu zu organisieren vermag“. Ist das vielleicht schon etwas forsch voraus gedacht, so kommen die Beiträge zu einem ambivalenten Ergebnis. Danach biete das Internet verstärkte Möglichkeiten der Partizipation, verstanden als kollektive Einflussnahme auf politische Handlungen. Dies wird beispielsweise anhand der digitalen Partizipation an den Protesten gegen „Stuttgart 21“ über Twitter demonstriert. Die Möglichkeiten der digitalen Partizipation brächten aber auch Risiken und Gefahren mit sich, etwa verfassungsrechtliche Probleme bei Online-Wahlen, aber auch ressentimentgeladenen „Shitstorm“ und „Wutbürgertum“. Interessanterweise antwortet auch darauf ein Beitrag aus dem Band selbst. Die Kommunikationsmanagerin Nina Keim zeigt in ihrem Aufsatz „Erfolgreich beteiligt“ auf, dass für gelingende Online-Beteiligungsprojekte begleitende Kommunikationsarbeit notwendig sein kann. Zudem wird der Umgang mit Sozialen Medien und die damit verbundene Kommunikationsarbeit aus der Erfahrung von Politikern geschildert.

Repräsentive Tradition und die Aktualität der Digitalen (Direkt-)Demokratie

Im letzten Teil des Bandes finden noch einige weitere Thesen und Beiträge Platz. Ein Beitrag von Roland A. Kohn betrachtet das Verhältnis von repräsentativer und digitaler Direktdemokratie und versucht nachzuweisen, dass der Parlamentarismus sowie das Prinzip der Repräsentation mit den direktdemokratischen Möglichkeiten des Internets keineswegs funktions- oder nutzlos geworden sei. Zudem finden sich einige Beiträge zur Bewertung der Beteiligungsmöglichkeiten durch Liquid Democracy in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft sowie zur Liquid Democracy allgemein. Auch der Einfluss von digitalen Medien auf Interessenverbände und Lobbyismus bleibt nicht unberücksichtigt.

Fazit: Insgesamt lohnenswerte Lektüre

Generell kann abschließend kritisiert werden, dass aus Sicht der Leser_innen bei über 30 sehr heterogenen Beiträgen ein wenig mehr strukturierender Eingriff der Herausgeber wünschenswert gewesen wäre. Wie im Medium Internet auch muss die Leserin das Wichtigste hier eigenständig herausfiltern. Damit wird also auch die Urteilskraft der Leser beansprucht. In vielen Beiträgen wird zudem das Thema Social Media jeweils wieder ganz von vorn behandelt. Menschen, die bspw. Twitter kennen und sogar nutzen, werden wohl gelangweilt sein, wenn sie zum fünften Mal lesen, dass man sich bei Twitter Nicknames gibt, die mit @ beginnen, Hashtags durch # gekennzeichnet werden und man Tweets auch retweeten kann. Dem Ganzen setzt der Herausgeber Prof. Friedrichsen noch die Krone auf, indem er zusätzlich zu seinem Einführungsbeitrag im Teil „Partizipation“ einen Beitrag platziert, der lexikonartig Social-Software-Tools funktional durcherklärt und sich wie eine Einführungsvorlesung liest. Zudem weist der Band insgesamt einige kleinere Mängel beim Lektorat auf. Insgesamt ist der Band aber aufgrund seiner Multiperspektivität durchaus lohnenswert. Wenn die wichtigen Beiträge und Informationen herausgefiltert sind, bringt er auch spannendes Neues zu Tage. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Beiträge in gegenseitigem kritischen Dialog stehen.
Bilder: oben: Prawny (CC0 1.0) /Buch-Cover: mike-friedrichsen.de
Buch-Cover von Marina Weisband