Digitale-Hidden-Agenda
Mit der Umdeutung der Netzpolitik zur Digitalen Agenda werden spezifische Schwerpunkte gesetzt, die den Politiken des Internets ihren kritischen Stachel rauben. Um das Internet als Ermöglichungsstruktur für digitale Autonomie, mehr Demokratie und Partizipation zu nutzen, müssen kritische Stimmen aus der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit einbezogen werden. Die Aufgabe, die sich durch eine Transformation in eine digitale politische Öffentlichkeit ergibt, könnte vom neuen Ausschuss Digitale Agenda angenommen werden – dann wäre er auch kein „zahnloser Haifisch“.
Der Begriff der Digitalen Agenda spiegelt einen Kampf um Deutungshoheit wider – und stellt damit auch einen Kampf um Macht dar. Es ist durchaus nicht als Spiel zu betrachten, wenn Ausschüsse umbenannt und bei Twitter neue Hashtags etabliert werden. Die CDU/CSU nennt ihren netzpolitischen Sprecher sogar in „Sprecher für Digitale Agenda“ um (obwohl der auf seiner eigenen Homepage noch „netzpolitischer Sprecher der Fraktion“ als Funktion angibt). Es handelt sich offenbar nicht um beliebige Etiketten oder Plakatierungen. So ist die mehrdeutige Beziehung zum englischen „agenda setting“ sowie zur „hidden agenda“ kein Zufall – die Digitale Agenda der Großen Koalition wurde schließlich hinter verschlossenen Türen entworfen. Sie ist somit wohl kein Error 404 für das Internet. Nur werden andere politische Schwerpunkte gesetzt, als sie unter dem Begriffsfeld der „Netzpolitik“ bislang bekannt waren. Netzpolitische Initiativen kamen ursprünglich aus dem oppositionellen Kontext des Internets, der „netzpolitischen Zivilgesellschaft“.

Wer sucht das Netz im Verkehrsministerium?

Die Frage nach der Ressort-Anbindung der Digitalen Agenda stand im Zentrum des Digitalen Salons in der vergangenen Woche. Das Internet als Themenkomplex ist in dieser Legislaturperiode primär innerhalb der „digitalen Infrastruktur“ dem Verkehrsministerium als Appendix unterstellt. Obwohl das Wort „digital“ exorbitant häufig im Koalitionsvertrag verwendet wird, resultierte daraus weder ein zentrales Ministerium für Internet, Netzpolitik und Digitalisierung noch ein_e eigene_r Staatsminister_in, die/der diese Themen für die Regierung bündelt. Hier besteht offenkundig eine Diskrepanz, die auch den Auftakt der Diskussion im Digitalen Salon bildete.
Die Regierungsseite, im Digitalen Salon vertreten durch Erwin Schwärzer, den Leiter des Referats IT 1 des Bundesministeriums des Inneren, bestimmte dann auch den Auftakt des Gesprächs, in dem um die „Kernressorts“, die die digitale Agenda bestimmen werden, gestritten wurde. Laut Schwärzer besteht dieser „Kern“ aus dem schon benannten Verkehrsministerium und darüber hinaus aus dem Ministerium für Wirtschaft und Energie sowie seinem eigenen Ressort, dem Innenministerium. Sekundieren solle noch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, es gehöre aber nicht primär zu den „Kernressorts“. Dem Internet, verstanden als Querschnittsthema, wurden so immerhin verschiedene Fachpolitiken zugeordnet. Fraglich blieben aber die Kooperationsmechanismen unter den Ministerien, die auch in Blockaden bestehen könnten, also nicht immer intelligent sein müssten, wie Wolfgang Schulz anmerkte, der Direktor des Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft.

Internet als gesellschaftliche Aufgabe

Dass Internet und Digitalisierung auch in die Zuständigkeitsbereiche weiterer Ministerien fallen, beispielsweise in die für Bildung und Forschung, Jugend oder Entwicklung, merkte u.a. Lena-Sophie Müller an, Geschäftsführerin der Initiative D21. Für Jugendliche, die immer mehr als Digital Natives aufwachsen, sei eine Förderung der Medienkompetenz von enormer gesellschaftlicher Bedeutung.
Der (netz-)gesellschaftlichen Fraktion, die das „Internet als gesellschaftspolitische Aufgabe“ begreift, gehörten auch die anderen Diskutanten an. Der Netzwelt-Redakteur bei Spiegel Online Ole Reißmann vertrat die Ansicht, dass die gesellschaftlichen Transformationen, die mit dem Internet einhergehen, spezifische Fachpolitiken überschreiten. Und der Gründer von netzpolitik.org, Markus Beckedahl, kritisierte, dass Netzpolitik von der Großen Koalition als Industriepolitik behandelt werde.

Ergebnisse der Internet-Enquete: Kritische Stimmen aus dem Internet einbeziehen

Die Einbeziehung der sogenannten „Netzgemeinde“ könnte sich für die Mitglieder des neuen Ausschusses Digitale Agenda als sehr nützlich erweisen – auch im Hinblick auf die zu erwartenden Auseinandersetzungen in den Reihen der Regierungsfraktionen. Die „Netzpolitiker“ der Fraktionen, die größtenteils Mitglieder des Ausschusses sind, werden sich ihren politischen Einfluss auch in den eigenen Fraktionen im wahrsten Sinne des Wortes „erkämpfen“ müssen.
Selbst wenn der neue Ausschuss keinen „federführenden“ Einfluss wird ausüben können, so könnte er zumindest als eine Art Demokratie- und Partizipations-Plattform genutzt werden, um kritische Stimmen aus der digitalen Öffentlichkeit in den politischen Diskurs einzubringen. So wies die Diskussionsrunde im Digitalen Salon wiederholt auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft der letzten Legislaturperiode hin.
Dort steht etwa im Bericht der Projektgruppe Demokratie und Staat zu lesen: „Eine digital vernetzte Demokratie ermöglicht die Erweiterung der Ausübung von Volkssouveränität durch eine stärkere substantielle Verknüpfung politischer Institutionen mit dem öffentlichen Prozess politischer Willensbildung“. Eine Einbeziehung der „Netzöffentlichkeit“ durch digitale Technologien könne mitunter zu einer höheren Legitimation politischer Entscheidungen führen. Diese Netzöffentlichkeit habe „sich in Blogs und Foren herausgebildet“ und dehne „sich derzeit auf soziale Netzwerke und Kollaborationsplattformen aus“.
Im Bericht der Projektgruppe Netzneutralität heißt es: „Ein freies Internet ist von unschätzbarem kulturellem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Wert“, es verdanke „seine Attraktivität und Innovationskraft […] maßgeblich dem offenen und vergleichsweise einfachen Zugang für Nutzer und Anbieter sowie der Übermittlung von Datenpaketen ohne Diskriminierung unabhängig von Sender und Empfänger“. In diesem Zusammenhang ist zu kritisieren, dass die Netzneutralität im Koalitionsvertrag zwar gefordert wird, aber eine „Netzneutralität mit Hintertüren“ bleibt und somit faktisch abgeschafft werden könnte.
Auch beim Thema Datenschutz wäre der Rückgriff auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission hilfreich, etwa beim Thema „Privacy by Design und Privacy by Default“. Die Initiative einer Datenschutzgrundverordnung sowie die gesetzliche Regelung der Netzneutralität werden jedoch maßgeblich von der Europäischen Union beeinflusst – daher muss der Eingriff der Politik und des Politischen hier auf internationaler Ebene stattfinden.
Bild: politik-digital.de
Buch-Cover von Marina Weisband
 

Privacy Preference Center