Die dritte Ausgabe unseres Formats politik-digital:live stand unter dem Thema „Digitale Demokratie“. Wie verändert sich politische Arbeit und politische Beteiligung in Zeiten einer Pandemie? Und ist COVID-19 letztendlich der Auslöser einer Digitalisierungsoffensive? Mit uns diskutierten die Bundestagsabgeordnete und Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg und Prof. Dr. Christoph Bieber, Inhaber der Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der NRW School of Governance.

Digitalisierung mit der Brechstange

Das Home-Office. Vor nicht all zu langer Zeit noch ein Konzept für den Arbeitsplatz der Zukunft, heute vielerorts Realität. Auch der Deutsche Bundestag musste seine Arbeit in den letzten Wochen radikal umstellen und sah sich mit den gleichen Herausforderungen wie wir alle konfrontiert.
So stand man anfangs einem ganzen „Zoo an Videokonferenzsystemen“ gegenüber, berichtet Anke Domscheit-Berg.
Als Obfrau des Ausschuss Digitale Agenda hatte sie dabei, im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleg*innen, zwar schon Erfahrungen mit digitalen Zusammenkünften und der Teamarbeit über Online-Tools, ganz reibungslos verlief der Umstieg allerdings trotzdem nicht.
Das lag nicht zuletzt daran, dass die Nutzer*innenzahlen in die Höhe schossen. Auf der einen Seite ein Stresstest für die Server, auf der anderen Seite fehlten die Endgeräte. Und auch im Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz mussten Lösungen gefunden werden.

Die Dynamik verändert sich

Derzeit findet die Arbeit im Parlament vorwiegen hybrid statt. Ein Teil der Abgeordneten vor Ort, ein anderer Teil digital zugeschaltet. Das verändert die Dynamik nachhaltig. Während Online-Absprachen vieler Orts ausreichen, fehlt der persönliche Kontakt zu den Kolleg*innen. Der schnelle Austausch mit den Sitznachbar*innen ist genauso wenig möglich wie das Gespräch auf dem Flur.
„Das Gefühl dabei zu sein“ leidet, so Domscheit-Berg. Während hitzigen Debatten, kann es schon einmal passieren, dass die zugeschalteten Teilnehmer*innen außen vor bleiben. Man möchte sich beteiligen, kann aber teilweise nicht. Die Qualität der Debatte leidet darunter deutlich, stellt Christoph Bieber fest. Es ist aber nicht nur der Meinungsaustausch, der unter neuen Spielregeln stattfinden muss, eine fast noch größere Herausforderung stellen die zahlreichen Abstimmungen dar.

Die Diskussion über eine elektronische Möglichkeit zur Stimmabgabe ist nicht neu, scheint jetzt jedoch relevanter denn je. Die Probleme sind dennoch die gleichen. Wie garantiert man beispielsweise, dass keine Manipulation stattfinden kann? Eine weitere Frage ist die Rechtsverbindlichkeit solcher Abstimmungen, bisher gibt es das Gesetz nicht her, sie digital stattfinden zu lassen. Es bedarf also Gesetzesänderungen, wie kurzfristig dies realisierbar ist bleibt fraglich.

Was an dieser Stelle auch nicht außer Acht gelassen werden darf, sind die nach wie vor unterschiedlichen Zugangsbedingungen. Die Beteiligung an parlamentarischen Prozessen hängt momentan stärker denn je vom Ausbau, der Verfügbarkeit und der Kenntnis digitaler Infrastruktur ab, was Anke Domscheit-Berg als problematisch bezeichnet.

Muss das alles so digital sein?

Auch abseits von der Arbeit im Plenum wird sich durch Corona einiges ändern. Viele bewährte Strukturen werden auf die Probe gestellt. Zum Beispiel der klassische Wahlkampf. Weder der Stand in der Fußgängerzone, noch das persönliche Gespräch an der Haustür ist derzeit denkbar. Und wie sieht es mit der Wahl an sich aus? Bisher ist der Gang zur Wahlurne sinnbildlich für Beteiligung. Dass es dabei zu Schlangen vor dem Wahllokal kommt, ist zwar eher die Ausnahme als die Regel, wie Anke Domscheit-Berg betont. Doch der Gedanke daran, könnte bei manch einem, der versucht die Öffentlichkeit zum Infektionsschutz zu meiden, Unbehagen auslösen. Eine Möglichkeit wäre den Wahltag auszudehnen, ein Wahlwochenende zu veranstalten.

Auch die Briefwahl ist weiterhin als Alternative im Gespräch. Einer verpflichtenden Wahl per Brief stehen Anke Domscheit-Berg und Christoph Bieber skeptisch gegenüber. Also auch hier alles digital?  “Nein”, findet Anke Domscheit-Berg und spricht sich eindeutig auch gegen elektronische Wahlen aus, “einfach weil sie den rechtlichen Rahmenbedingungen in keiner Weise entsprechen könnten”.

Diesen Herausforderungen und Widersprüchen, die sich aus den neuen
Bedingungen der Corona Pandemie ergeben, gilt es in den nächsten Wochen und Monaten zu begegnen.

(Der Text wurde am 27.5. aktualisiert)

Leider kam es während des Livestreams zu technischen Problemen und Aussetzern. Das Gespräch zum Nachverfolgen gibt es als Aufzeichnung auf YouTube:

Picture by Markus Spiske on unsplash