Bernhard Lehmann von Weyhe in einer Zusammmenfassung seiner Forschungsarbeit über strategische Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Deutschland, Frankreich und USA

“We are watching something historic happen, and it will effect the world seismically, rocking us the same way the discovery of the scientific method, the invention of printing, and the arrival of the Industrial Age did.” (Bill Gates)

1. Die Problematik

Das Internet, was bringt es uns konkret? Handelt es sich hier um ein neumodisches Hitech-Spielzeug, um einen außergewöhnlichen Platz der Freiheit oder, um einen verrückten Raum von Anarchie und Extremismus? Was verstehen wir unter dem “Cyberspace”; ist es nur eine Schnapsidee einiger angelsächsischer Träumer? Was sollen wir mit einer Flut von Daten anfangen, die aus dem weltweiten Datennetz auf uns herunterprasseln? Wäre es einerseits für eine Regierung vorstellbar, über ein solch anarchisches und unfaßbares Medium mit den Bürgern zu kommunizieren? Kann man aber andererseits eine solche globale Entwicklung vernachlässigen? Diesen und ähnlichen schwerwiegenden Fragen müssen sich zahlreiche Bürger und Politiker am Ende der 90er Jahre stellen. In der Tat deuten die rasante Entwicklung der Kommunikation per Neue Medien und die Silhouette einer “Informationsgesellschaft” tiefgründige Veränderungen unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung an. Viele Staatsregierungen engagieren sich dabei zunehmend in der Kommunikation per Datennetz und nähern sich somit einem neuartigen Politikstil des Informationszeitalters. In diesem Zusammenhang ist eine Modifizierung der klassischen Kommunikation zwischen dem Staat und seinen Bürgern zu erwarten. Dies geht einher mit einer neuen Form politischer Online-Kultur, die sich bereits abzeichnet. Diese Kultur überschreitet herkömmliche Hierarchien und Grenzen und gewinnt oft einen sehr informellen Charakter. Mit Blick auf die obige Problematik hat der Autor dieser Forschungsarbeit, im Sinne eines promotionsorientieren Aufbaustudiengangs in Frankreich (“DEA”), den folgenden – neuartigen – Ansatz: Ziel der Arbeit ist es, die Einführung der “Regierungskommunikation per Internet” (RKI) in Frankreich, Deutschland und in den USA zu beschreiben, zu klassifizieren und zu bewerten. Zu diesem Zwecke wird folgende Definition des Arbeitsbegriffes RKI festgelegt: “Unter Regierungskommunikation per Internet versteht man die Gesamtheit der offiziellen Kommunikation eines Staates, die dieser über die Neuen Medien an seine Bürger richtet. Diese Kommunikation kann sich unilateral oder bilateral vollziehen. Sie kann dabei permanent oder punktuell auf Dienste wie WWW, Email, FTP oder Online-Chat zurückgreifen.” In ihrer Gesamtstruktur ist diese Arbeit in zwei große Bereiche aufgeteilt: In einem ersten Teil wird das wissenschaftliche Terrain durch die Definition der zentralen Arbeitsbegriffe, durch die Durchsicht existierender Literatur sowie durch eine empirische Analyse zahlreicher RKI-Präsentationen vorbereitet. Im zweiten Teil wird die Analyse durch weitere “klassische” sozialwissenschaftliche Recherchen ergänzt. Es geht z.B. darum, Mythen zu durchleuchten sowie politische Visionen oder bestehende RKI-Konzepte kritisch abzuwägen. Danach unternimmt der Autor den Versuch, aus den erhaltenen Daten, Fakten und Zusammenhängen Schlußfolgerungen zu ziehen. Unter der Annahme, daß es sich bei der RKI um eine notwendige Entwicklung jedes wirtschaftlich “modernen” Staates handelt, versucht diese Arbeit, interdisziplinär menschliche, politische und technische Faktoren zu beleuchten, daher der Titel: “RKI – strategische Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.” Die Spanne der Analysen reicht dabei von einer weit fortgeschrittenen RKI bis zu Fällen, die sich noch in einer klaren Aufbauphase befinden.

Der Vergleich dreier Nationen (D – F – USA)

In den vergangenen Jahren sind unter den Regierungen von Frankreich, Deutschland und den USA zahlreiche Großkampagnen zur Förderung der Neuen Medien, insbesondere des Internet angelaufen. Die USA haben dabei unter Al Gore (US Vizepräsident seit 1993) klar die technische und konzeptuelle Führungsrolle übernommen. Große amerikanische RKI-Programme beginnen bereits 1993 mit Unterstützung von Al Gore. In Deutschland haben in den Jahren 1995-98 das Bundeswirtschafts- sowie das Bundesforschungsministerium, aber auch das Bundespresseamt, RKI-Planungen verwirklicht. Unter Bundeskanzler Kohl und seinen Ministern G. Rexrodt und J. Rüdgers wurden mehrere Programme zum Thema Informationsgesellschaft “Info 2000” gestartet. Die Schwerpunkte liegen seitdem auf der Förderung der Universitäten, der Schulen, der Verwaltungen, der Medien und des Wirtschaftssektors. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten und einem “Rückstand” von 2-3 Jahren hat sich die französische Regierung ebenfalls für das Internet und die Neuen Medien ausgesprochen, nicht nur für einen national begrenzten “Minitel”. Zwischen 1996 und 1998 wurden einen Reihe Expertenberichte für die jeweiligen Premierminister erstellt, die diese dann auch zum Anlaß nahmen, das “Phänomen Internet” offiziell als Herausforderung anzunehmen. Mit einem größeren Gewicht auf kulturellen und sozialen Faktoren werden nun auch in Frankreich die Entwicklungen der Informationsgesellschaft gepriesen und konkret unterstützt. Der Ansatz des Drei-Länder-Vergleichs, der auch von offiziellen Akteuren der RKI genutzt wird, verspricht eine Reihe von neuen Lösungsansätzen und alternativen Entwicklungsoptionen der RKI. Diese methodische Entscheidung erscheint zwingend aufgrund des grenzüberschreitenden und internationalen Charakters des Internet – eine isolierte, rein nationalstaatliche Analyse erschiene unlogisch und verwirrend.

2. Die Entwicklung der Forschung

In der oft chaotischen Debatte um die “Informationsgesellschaft” suchen die politisch Verantwortlichen der RKI nach konkreten Ansätzen, nach kurzen und präzisen Beispielen. Aus diesem Grunde beginnt diese Arbeit mit einer konkreten Fallstudie über die erfolgreiche Entwicklung einer großen deutschen Regierungswebsite. Der Fall erscheint auch deshalb geeignet, weil er alle “klassischen” Faktoren der RKI beinhaltet, von den höchsten bürokratischen Hürden bis zu großen Erfolgserlebnissen mit den Neuen Medien. Es handelt sich um den Aufbau und die Entwicklung des RKI-Programms des Bundesministeriums der Verteidigung in Bonn, insbesondere seiner Website www.bundeswehr.de .

Die Meinung der Experten

Die zentralen Entwicklungsstrategien der RKI gehören ebenso zum Thema dieser Arbeit, wie die Interaktivität der Websites, die Zugangswerte sowie die Qualität der Online-Publikationen. Aufgrund der geringen detaillierten Literatur zum Thema hat der Autor an vielen Stellen von seiner Umfrage bei Experten der RKI in Deutschland, Frankreich und in den USA profitiert. Diese Personen mit sehr unterschiedlicher beruflicher Herkunft sind sowohl Akteure, als auch Beobachter oder indirekte Förderer der RKI. Es handelt sich um diverse Regierungsbeamte aus dem PR-Bereich, um Berater für politische PR, um Online-Journalisten, um spezialisierte Ingenieure, um Universitätsdozenten, etc.

Die Kommunikationsniveaus

Im Zuge der fortschreitenden Recherchen erschien es dem Autor sinnvoll, die Entwicklung von RKI-Programmen in vier Kategorien, d.h. in vier “Kommunikationsniveaus” einzuteilen:

  1. Das Niveau des passiven “Schaufensters”
  2. Das Niveau reichhaltiger und unilateraler Kommunikation
  3. Das Niveau regelmäßiger Kommunikation und Interaktion
  4. Die Anfänge des “Interactive Government”, der “interaktiven Regierung”

Schlußfolgerungen

Die RKI sollte keinesfalls als ein Kommunikationskanal wie jeder andere gesehen werden, denn auch das Phänomen Internet ist keine Welle technologischen Fortschritts wie jede andere. Tatsächlich deuten die technischen und sozialen Nutzungsformen der Neuen Medien ein gravierende Änderung des politischen Lebens an. Die Wachstumsraten sowie die Dezentralisierungskräfte die diese Änderung begleiten, weisen auf eine computerisierte Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit einer neuartigen Form politischer Debatte. Auch wenn diese Faktoren heute noch nicht klar zu bestimmen sind, erscheint es sicher, daß sich diese “Informationsgesellschaft” um den Besitz und die Übermittlung von Wissen drehen wird. Diejenigen, die diese Datenautobahnen kontrollieren und wissen, wie man auf ihnen navigiert, werden zu “Herrschern” in der Gesellschaft. Dadurch wird der Begriff der “Informationsgesellschaft” (wieder) zu einem heißen politischen Thema. Dieses Thema bleibt dabei eng verbunden mit dem Begriff der Regierungskommunikation per Internet: Die pluralistischen und solidarischen Traditionen der westlichen Demokratien, Staaten, die die internationale Politik mitbestimmen, werden die Apokalypse des “Technologie-Dschungels” zu verhindern wissen. Die dezentrale Organisation und die politische Kultur des Netzes wurden zudem deutlich von demokratischen Idealen und individuellen Freiheitsgedanken geprägt. Auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert werden sich große technologische und politische Nationen wie Frankreich, Deutschland und die USA einer gewaltigen Herausforderung stellen, ohne dabei ihre Grundwerte aus den Augen zu verlieren: Es handelt sich um die erfolgreiche staatliche Einrahmung der explosionsartigen Entwicklung eines Meta-Mediums auf dem Wege in eine neuartige Informationsgesellschaft. Über die Regierungskommunikation per Internet könnten “öffentlich-rechtliche” Sparten des Internet bereits als Versuchslabor für vielversprechende technologische, politische und gesellschaftliche Modernisierungsprogramme dienen. Dabei erhielte die RKI eine Rolle als neuartiges Forum dezentraler, mehrdirektionaler, spontaner, pluralistischer und grenzüberschreitender Politikdiskussion. In diesem Zusammenhang kann man die quantitative und qualitative Entwicklung der RKI als einen Hauptindikator nutzen, der angibt, ob sich eine Gesellschaft und ihre politisch-ökonomische Führung auf einem wirklich demokratischen und humanen Weg zur Informationsgesellschaft der Zukunft befinden.