Erklärtes Ziel der Initiative „i2010: Europäische Informations-gesellschaft 2010“ der Europäischen Kommission ist es, die Informationsgesellschaft und Medienindustrie in Europa zu stärken. Dieses Anliegen ist verständlich, denn dieser Sektor wird weltweit als der zukunftsträchtigste Wirtschaftsfaktor angesehen. Seine ökonomischen und technischen Verheißungen machen die Initiative i2010 zu einer Schlüsselkomponente der erneuerten
Lissabon-Strategie der Kommission. Gleichwohl ist i2010 nicht nur ökonomisch motiviert. Beabsichtigt ist auch die Verbesserung der Partizipation und Vernetzung der Bürger und Regionen Europas.

Wachstum und Konvergenz

Die Lissabon-Strategie ist ein EU-Programm, das zum Ziel hat, die EU bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Sie basiert zu einem großen Teil auf dem Kommunikations- und Informationssektor, da in diesem Bereich erhebliches Wachstums- und Beschäftigungspotential steckt. Laut EU-Kommission beträgt sein Anteil am europäischen BIP-Wachstum 25% und am Produktivitätswachstum 40%. Deutlich wird die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) auch daran, dass sich die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Industrieländern nicht zuletzt durch den jeweiligen Anteil der IKT-Wirtschaft am BIP erklären lässt.

Untersuchungen der EU für den Zeitraum 1995-2000 verweisen auf einen Zusammenhang zwischen diesem Anteil und der Produktivität: So verzeichneten etwa Finnland und Irland bei einem Anteil von über 10% mit 2,5 bzw. 5,3 % ein Produktivitätswachstum weit über EU-Durchschnitt (1,4%), wohingegen Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien mit einem Anteil um 5% ein unterdurchschnittliches Produktivitätswachstum aufwiesen.

Um die wirtschaftlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und die gebotene Erhöhung von Investitionen in den IKT-Bereich zu erreichen möchte die Kommission mit der Strategie i2010 der technologischen Entwicklung zur digitalen Konvergenz Rechnung tragen. Dieses Zusammenwachsen der zuvor getrennten Sphären des Inhalts, der Netze und der Geräte verlange, so die
Kommission, entsprechende „politische Konvergenz“.

Politischer Handlungsbedarf

Doch was ist unter einer „politischen Konvergenz“ zu verstehen? Welche Rolle spielt die Politik hierbei und wie weit sollte die Politik das Projekt unterstützen? In ihrer
Rede am Digital Lifestile Day 2006 in München hat die zuständige Kommissarin Viviane Reding darauf hingewiesen, dass Entwicklung und Innovation im IKT- und Mediensektor in erster Linie Unternehmern und Wirtschaft vorbehalten bleiben müssten. Gleichwohl komme auch der Politik eine bedeutende Aufgabe zu. Dies ergebe sich schon aus den Hindernissen für eine optimale Entwicklung der IKT in Europa. Ein Grundproblem ist demnach die mangelnde industrielle Verwertung von Innovationen, die nach Reding ihre Ursache in der häufig durch Bürokratismus fehlgeleiteten öffentlichen Finanzierung von Forschung und Entwicklung hat.
Der von EU und OECD angestellte Vergleich mit anderen Industrienationen zeigt neben den Ausführungen der Kommissarin ein Defizit in der Höhe der Forschungsförderung. Während in den USA und Japan im Jahre 2002 350 bzw. 400 Euro pro Einwohner für Forschung und Entwicklung im IKT-Bereich ausgegeben wurden, waren es in Europa (EU 15) lediglich 80 Euro. Der Anteil an der Gesamtforschung war mit 18% nur etwa halb so hoch wie in den USA und Japan.

Aufholbedarf für Europa z.B. gegenüber Japan erkennt Reding in der genanten
Rede zudem in Hinblick auf die Schnelligkeit der Netze: ein wesentlicher Faktor der Attraktivität digitaler Angebote für die Konsumenten. In der Tat liegt Europa mit einer Verbreitung der Breitband-Technologie bei 9% der Bevölkerung (Jan. 2005) hinter den USA (11,5%/2004) und Japan (14,6%), vor allem aber hinter Südkorea (26,8%) zurück.

Die inhaltliche Attraktivität wiederum sei durch ein strukturelles Problem der EU beeinträchtigt. Denn Voraussetzung für gute, attraktive Inhalte ist nach Reding der Schutz geistigen Eigentums. In diesem Bereich gebe es aber trotz aller Harmonisierungs-bemühungen nach wie vor 25 verschiedene Rechtslagen. Von einem einheitlichen Markt für Inhalte wie in den USA ist Europa folglich noch weit entfernt. Wie man sieht, eine ganze Menge Hürden, die politisch zu beeinflussen sind.

Einheitlicher Informationsraum, Forschung und Integration

Es besteht politischer Handlungsbedarf, der rechtliche und verwaltungsmäßige Rahmenbedingungen, den Ausbau der Infrastruktur sowie Umfang und Art der Forschungsförderung betrifft. Vor diesem Hintergrund zielt die Strategie i2010 auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Informationsraums sowie die finanzielle Erhöhung und qualitative Verbesserung der EU-Forschungsförderung ab. Als dritter Schwerpunkt wird darüber hinaus die „Förderung einer Informationsgesellschaft“ genannt, „die alle Menschen einbezieht.“ i2010 räumt also neben den ökonomischen auch den partizipatorischen Aspekten des digitalen Zeitalters Platz ein.

Der einheitliche Informationsraum soll zwischen 2005 und 2007 durch eine effektivere Fequenzverwaltung, eine Modernisierung der Vorschriften für die audiovisuellen Mediendienste sowie für elektronische Kommunikation, schließlich durch die Etablierung einer sicheren Informationsgesellschaft und einer effektiven und interoperablen Verwaltung digitaler Rechte vorangetrieben werden.

Zur Behebung der Unzulänglichkeiten im Forschungsbereich setzt die Kommission zum einen auf die Erhöhung der Forschungsausgaben. Diese sollen um 80% steigen. Finanziert werden soll das Vorhaben durch das 7. Forschungsrahmenprogramm (7.RP) sowie das Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. Relevant ist insbesondere das 7. RP mit jährlichen Mitteln von 1,8 Milliarden Euro, während das zweite Programm zwischen 2007 und 2013 800 Millionen Euro bereitstellt. Zum anderen wird die Art der Förderung modifiziert. Vorgesehen ist eine Konzentration auf die wichtigsten Technologien im IKT-Sektor, etwa die Nanotechnologie. Erster Maßstab der Förderung soll stets ihre Relevanz für die Behebung von Engpässen für die weitere Entwicklung der digitalen Wirtschaft sein.

Die Teilhabe aller Menschen in Europa an den Vorzügen der Informationsgesellschaft ist Ziel des dritten Schwerpunkts der Strategie. Die Kommission hat diesbezüglich einen Aktionsplan für elektronische, bürgernahe Behördendienste vorgeschlagen. Digitale Bibliotheken sollen allen Bürgern den Zugang zur multilingualen europäischen Kultur ermöglichen. Die demographischen Entwicklung in Europa wird ebenso berücksichtigt: etabliert werden sollen Technologien für eine alternde Bevölkerung. Ab 2008 ist eine Initiative für die digitale Integration vorgesehen, mit dem Ziel geographische und gesellschaftliche Unterschiede zu überwinden.

Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert worden, bis Oktober in ihren nationalen Reformprogrammen Prioritäten im IKT-Bereich zu setzen, um die Ziele der Kommissionsstrategie zu unterstützen. Bis zum 29.11. 2005 lagen entsprechende Ausführungen aus den meisten Mitgliedstaaten vor. Deutschland beschrieb seine Bemühungen im Dezember 2005. Das Programm soll eng mit der „High-Tech-Strategie Deutschland“ aus der
Koalitionsvereinbarung abgestimmt sein. Die Bundesregierung verweist im Zusammenhang mit der Strategie 2010 zudem auf das noch von der alten Regierung erstellte Aktionsprogramm „
Informationsgesellschaft 2006“ aus dem Jahre 2003.