Interview mit Erwin Staudt, Vorsitzender der Initiative D21 und IBM-Chef Deutschland, bezieht Stellung zur Studie “E-Town – Deutschlands digitale Hauptstädte”, die im Auftrag der Initiative D21 von politik-digital.de durchgeführt wurde.

politik-digital: Welche praktischen Erfahrungen haben sie persönlich mit E-Government gemacht? Nutzen Sie das E-Government Angebot Ihrer Stadt?

Erwin Staudt: Ich sage nur
www.leonberg.de. Die Stadt hat in den letzten Jahren ihr Internetangebot kontinuierlich erweitert und gibt den Bürgern einen guten Einblick in die kommunalen Gremien und eine Übersicht über ihre Stadt. Was mich überzeugt, ist das Konzept der
Stadt Dortmund, die für ihre Bürger ein
Internet-Portal anbieten, über das Vorgänge einfach und sicher abgewickelt werden können, die bisher zeitaufwendig mit Behördengängen erledigt werden mussten. Dort sieht man, was mit E-Government alles möglich ist.


politik-digital: Was ist das Ziel der Studie E-Town 2002?

Erwin Staudt: Wir wollen eine Zwischenbilanz ziehen, wo die Städte in Deutschland bei E-Government stehen. In den letzten Jahren sind alle Kommunen mit Informationsangeboten ins Netz gegangen und die Entwicklung ist so schnell, dass Städte, die gestern vorn lagen, morgen schon nicht mehr das im Internet anbieten, was Bürger woanders online erledigen. Die Studie bewertet anhand der Kriterien “E-Administration”, E-Democracy” und “Bedienerfreundlichkeit” alle Städte über 100.000 Einwohnern. Die Auszeichnung für die Guten soll Rückenwind für alle diejenigen erzeugen, die sich in ihrer Verwaltung für modernere Internet-Lösungen einsetzen.


politik-digital: Wie beurteilen sie die Kritik an Städterankings und an E-Town 2002?

Erwin Staudt: Rankings tun weh und sie tun gut. Das sehen wir an der PISA-Studie. Natürlich ist es schwierig, wenn die Ergebnisse so knapp sind, wie in der E-Town-Studie. Aber wenn es mehrere unabhängige Bewertungen gibt und bei jeder das Internet-Angebot einer Stadt im ersten Drittel ist, dann ist das für die “Macher” eine Auszeichnung. Und für die anderen eine Aufforderung, sich zu verbessern. Rankings schaffen Transparenz und Wettbewerb. In der Wirtschaft übernehmen das die Börsen. Auch Verwaltungen müssen sich vergleichen lassen.

politik-digital: Welche Forderungen erheben sie angesichts der Ergebnisse der Studie E-Town 2002?

Erwin Staudt: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Großstädte legt den Schwerpunkt ihrer elektronischen Angebote auf Information und Dienstleistungen. Dagegen sind politische Beteiligungsmöglichkeiten nachrangig berücksichtigt. Hier fordern wir eine Schwerpunktverlagerung zu mehr Beteiligungsmöglichkeiten. Nur so entsteht der Nutzen, der die Bürger ins Internet bringt. Zweite Forderung: die Internet-Angebote der Stadt müssen viel stärker vermarktet werden. Bei der Kommunikation sind durchaus Medienbrüche erlaubt: Hotlines, Print-Medien und Veranstaltungen müssen E-Government-Angebote den Nutzern näher bringen.


politik-digital: Wie ist aus Ihrer Sicht zu vermeiden, dass die Hoffnungen und Investitionen in Bereich E-Government ähnlich übertrieben werden wie in der

New Economy bzw E-Business?

Erwin Staudt: Guter Punkt. Wir können es vermeiden, indem wir rechtzeitig kritisch hinterfragen, ob die Bürger auch mitmachen, bei dem was die E-Government-Entwickler für sie planen. Zurzeit bestehen viele E-Government-Angebote aus dem politischen Gewollten, dem rechtlich Möglichen und dem technisch Machbaren. Aber nicht immer aus dem, was die Nutzer wollen. Und die sind der Markt. Nur wenn wir den Nutzen erhöhen, wenn wir die kritische Masse auf der Angebots- und Nachfrageseite von E-Government erreichen, werden sich die Investitionen rechnen. Deswegen müssen wir ständig die Nutzung von E-Government-Angeboten messen und die Bürger befragen. Die
Initiative D21 hat zum Beispiel auf der Internet-World im Juni in Berlin zusammen mit
EMNID den (N)onliner-Atlas vorgestellt (
politik-digital.de berichtete). Es zeigt sich, dass wir bei den Nutzungs-Zahlen an eine Wachstumsgrenze gekommen sind und dass wir keine neue Nutzergruppen gewinnen. Bei E-Government fehlen den Leuten die Beteiligungsmöglichkeiten. Wenn Politik und Wirtschaft das jetzt in einer gemeinsamen Strategie angehen, dann werden wir Enttäuschungen wie die der New-Economy verhindern. Ältere Menschen bekommt man zum Beispiel über gute Angebote der Gesundheitsberatung und Therapie-Coaching ins Netz.


politik-digital: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hemmnisse für E-Government in Deutschland, und was muss konkret getan werden, dass Deutschland eine bessere Position einnimmt?

Erwin Staudt: In vielen Bereichen fehlt die “kritische Masse”: auf der Angebotsseite sind die Angebote sind noch nicht so umfangreich und ausgereift, dass es sich für den Bürger lohnt, automatisch ins Netz zu gehen, wenn er Verwaltungsvorgänge vornimmt. Steuererklärung, Bafög-Antrag oder KfZ-Ummeldung macht man in der Regel nur einmal im Jahr. Und auf kommunaler Ebene sind alle Angebote unterschiedlich, es fehlen Standards, was auf jeden Fall jede Kommune haben muss. Auf der Nachfrageseite sind gibt es noch zu wenig Nutzer. Geringer Zugangskosten und öffentliche Zugänge müssen die Internetverbreitung so erhöhen, damit sich die Investitionen in E-Government auch lösen. Und wir haben noch weitere Probleme: Sicherheit und Vertrauen im Internet muss ausgebaut werden und wir brauchen eine bundesweiter Strategie für die Anwendung elektronischer Signaturen.


politik-digital: Ein Blick über den nationalen Tellerrand hinaus könnte uns welche Erkenntnisse liefern?

Erwin Staudt: Wir können in Skandinavien, USA oder Frankreich sehen, was machen die anderen, damit sie bei Indikatoren wie Internet-Nutzer oder Computer in den Schulen vor Deutschland liegen. Wie bekommt Finnland die Senioren ins Netz, was heißt E-Government in Schweden? Aus diesen Beispielen können wir sehen, was davon übertragbar ist. Und: der Vergleich mit anderen gibt uns Ansporn um einen Spitzenplatz in der internationalen Staatengemeinde zu kämpfen.


politik-digital: Von Seiten der Kommunen ist immer wieder die Forderung nach einer starken Rolle der Bundesregierung zu hören. Besteht so nicht die Gefahr, dass eine einheitliche Lösung die Entwicklung und den Wettbewerb hemmt?

Erwin Staudt: Die Gefahr besteht, deswegen müssen wir den richtigen Mittelweg zwischen zentral vorgegebenen Standards und individueller Lösungen auf kommunaler Ebene finden. Wir brauchen die Standards, weil wir den Bürger als Kunden sehen müssen, der bestimmte Dienstleistungen im Internet erledigen kann, egal in welcher Gebietskörperschaft er sich aufhält. Allerdings ist gerade politische Beteiligung hauptsächlich auf kommunaler Ebene möglich. Dort brauchen die Kommunen Gestaltungsspielräume.


politik-digital: Könnten Sie sich vorstellen, dass ähnlich wie bei Linux ein offener Kreis von Programmierern möglich ist, der die Entwicklung von E-Government Lösungen vorantreibt?

Erwin Staudt: Vorstellbar ist alles. Gerade das Beispiel der Open Source Community zeigt, was möglich ist, wenn man an eine Idee glaubt und sie gemeinsam weiterentwickelt. Im föderalen System Deutschlands ist es unabdingbar, dass sich auch beim Thema E-Government Menschen über Verwaltungsstrukturen und -regionen hinaus zusammenfinden, um E-Government voranzutreiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass vieles nur Stückwerk bleibt.

politik-digital: Vielen Dank für das Interview!

Erwin Staudt: Die Studie “E-Town – Deutschlands digitale Hauptstädte” wird am 28.6.2002 auf dem Kongress der Initiative “Mit Internet Staat machen. E-Government und die Zukunft der Demokratie.” in Leipzig veröffentlicht. Dort werden auch die Gewinner in den Bereichen “E-Administration”, “E-Democracy” und “Nutzerfreundlichkeit” vorgestellt. Zudem werden die besten Beispiele aus den Bereichen “kommunale Bebauung online” sowie “Vernetzung von Frauen” pämiert. Wer die glücklichen Gewinner sind, können Sie auf den Seiten von politik-digital.de und der Initiative D21 nachlesen. Zusätzlich können Sie die Studie ab Freitag, den 28.6.2002, auf den Seiten der
Initiative D21 und
politik-digital.de kostenlos herunterladen.


>> Studie “E-Town 2002” RTF

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>> Studie “E-Town 2002” PDF

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Und hier die glücklichen
Gewinner:

Sieger “E-Administration”:
Essen

Sieger “E-Democracy”:
Stuttgart

Sieger “Nutzerfreundlichkeit”:
Magdeburg

Best-Practice “Vernetzung von Frauen”:
Heidelberg,
Münster,
Pforzheim


Best-Practice “kommunale Bebauung”:
Düsseldorf,
Moers,
Osnabrück

Erschienen am 27.06.2002