Die Tage bis zur Bundestagswahl sind gezählt: Parteitage sind abgehalten, Parteiprogramme verabschiedet und die Kanzler*inkandidaten vorgestellt. Doch wie planen die Parteien ihre Wähler*innenschaft zu erreichen? Ist ein “normaler” Wahlkampf überhaupt möglich und hat die Corona-Pandemie für einen “Digitalschub” im Wahlkampf gesorgt? Wir haben sowohl mit einigen Parteien als auch mit dem Wahlkampf- und Strategiexperten Julius van de Laar gesprochen, um herauszufinden was den Wahlkampf rund um die Bundestagswahl 2021 prägen wird. 

Rückblick

Der Beginn des politischen Jahres  war von den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, sowie von den Kommunalwahlen in Hessen geprägt. Nach der Kommunalwahl 2020 in Nordrhein-Westfalen konnte hier erneut beobachtet werden, wie der der Wahlkampf sich in Zeiten der Corona-Pandemie verändert. Der persönliche Kontakt und Haustürwahlkampf waren zu Landtagswahlzeiten noch eingeschränkt oder nicht möglich, sodass neue digitale Initiativen wie z.B. digitale Wahlkampfstände entwickelt wurden. Andererseits wurden in Baden-Württemberg 2021 anderthalb bis doppelt so viele Plakate wie in 2016 gedruckt und aufgehängt. Ein Phänomen, dass auch bei der diesjährigen Bundestagswahl zu erwarten sein wird.

Blicken wir auf die Bundesebene sind die programmatischen Findungsphasen der Parteien abgeschlossen und der Kampagnenstart ist erfolgt. Insbesondere Bündnis 90/ Die Grünen hatten einen starken Einstieg hingelegt, was sich in den steigenden Umfragewerten nach der Bekanntgabe der Kandidatur von Annalena Baerbock Mitte April zeigte. Skandale, wie z.B. Fehler im Lebenslauf oder auch Plagiate in ihrem letzten Buch, heizten das negative campaigning umso mehr an und spielten eine besonders große Rolle, wie z.B. der Spiegel konstatierte. Aber auch Kampagnen, wie die der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, sorgten, trotz anschließender Entschuldigung, für Empörung. Sinkende Umfragewerte und schlechteres Ansehen scheinen insgesamt die Folge für Bündnis 90/ Die Grünen zu sein. 

Derzeit sehen wir allerdings auch eine negative Entwicklung bei der CDU, die sicherlich auch etwas mit dem Verhalten ihres Spitzenkandidaten Armin Laschet während der Flutkatastrophe in Deutschland zu tun hat. Auf Twitter trenden derzeit nahezu täglich Hashtags wie “#niewiederCDUCSU”, die zeigen wie schnell Schlagzeilen die Bilder von Kandidat*innen verändern können. Für die Grünen heißt es jetzt anscheinend abwarten – die Frage ist nur wie lange.

Olaf Scholz scheint derzeit der Kandidat zu sein, der von all dem am meisten profitiert – zumindest wenn man den Befragungen zur Beliebtheit und potenzieller Kanzler*innenschaft Glauben schenken mag. Doch für die Partei selbst scheint sich insgesamt nicht viel in den Wahlumfragen zu verändern. 

Wie hoch sind die Budgets?

Schauen wir uns die vermeintliche Fokussierung auf den digitalen Wahlkampf näher an, kommt man nicht daran vorbei, sich die Budgets für diesen anzuschauen. Es fällt auf, dass die Budgetverteilung für Digitales im Wahlkampf doch sehr unterschiedlich ist. Bündnis 90/ Die Grünen sprechen selbst von einer “Digitaloffensive” und verdoppeln in diesem Jahr ihr Wahlkampfbudget für Digitales im Verhältnis zu 2017. Die FDP verwendet immerhin ein Viertel ihres zur Verfügung stehenden Budgets für Digitales.

Es ist zu vermuten, dass sowohl SPD als auch CDU/ CSU im Verhältnis zu den Grünen einen kleineren Anteil des Gesamtbudgets in den digitalen Wahlkampf stecken. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass ein Großteil der Stamm- und Wechselwähler*innen der beiden Parteien stärker mit traditionellen Wahlkampf-Mitteln zu erreichen sind. Die Grünen und auch die FDP hingegen reüssieren stärker im digitalen Wahlkampf in jüngeren Zielgruppen.

Gesamtbudget Budget für Digitales 
SPD 15 Mio. EUR k.A.
Bündnis 90/ Die Grünen k.A. 2,5 Mio. EUR (¼ im Verhältnis zum Gesamtbudget)
FDP 6 Mio. EUR 1,5 Mio. EUR 
Die Linke k.A.  10% im Verhältnis zum Gesamtbudget

Quelle: Auf eigene Anfrage (keine Rückmeldung von CDU/CSU) 

Was ist von den kommenden Wochen noch zu erwarten?

Was wohl seit der Pandemie nicht mehr wegzudenken ist, sind digitale Wahlveranstaltungen. Julius van de Laar beobachtet, dass Statements der Politiker*innen oftmals schon “made for social media” sind, das bedeutet, dass diverse Reden unmittelbar mit der Onlinepräsenz der Parteien und Kandidat*innen verknüpft sind.

Die Frage wie solche Statements und Kampagnen aufgenommen und verbreitet werden, zeigt sich insbesondere auf Social Media. Bis vor ein paar Wochen schien das negativ campaigning gegen Annalena Baerbock abzuschwächen, bis jetzt ihr Gegenkandidat Laschet stark in den Fokus gerückt ist. Derzeit scheint dieses Stimmungsbild konstant zu bleiben und das Leid der einen ist nun das Glück für die Anderen. Strategisch heißt es daher nun für die Grünen: Abwarten. 

“Wahlkampf wird nicht mit Lösungen gewonnen, sondern mit Problemen”, erklärt auch Julius van de Laar. Allerdings betont er im gemeinsamen Gespräch, dass es wichtig sei, dass es an der Zeit ist jetzt mehr hervorzuheben wofür man als Kandidat*in und Partei steht, um sich gegen die anderen abzugrenzen.

Inhaltlich ist noch nicht unbedingt eine große Tiefe im Wahlkampf erreicht. Ein aktuelles YouTube-Video vom Kanal “DIE DA OBEN”, bespricht ausführlich das Problem, dass sich die Parteien derzeit mehr auf ein Gegeneinander als auf inhaltliche Tiefe eingeschossen zu haben scheinen. Wie und ob es die Kandidat*innen es schaffen ihre Positionen besonders stark heraus zu arbeiten bleibt derzeit fraglich.

Vorläufiges Fazit: Business as usual?

Viel Veränderungen zu den bisherigen Bundestagswahlkämpfen konnten wir nicht beobachten. Zwar wird immer wieder von mehr Digitalisierung und online Präsenz gesprochen, jedoch findet dies derzeit auf einer sehr polarisierenden Ebene statt. Wie sich negative campaigning oder auch (digitale) Desinformation auf die elektorale Integrität (die sichere und angemessene Ausführung von Wahlen) auswirkt, werden wir noch in einem kommenden Beitrag analysieren. 

Außerdem stehen noch die TV-Duelle, bzw. in diesem Jahr sind es sog. “TV-Trielle” an, was möglicherweise nochmal neue Spannung in den Wahlkampf bringen könnte. Angesetzt sind derzeit der 29. August und 12. September, mögliche andere Formate könnten noch im September erscheinen.

Am Ende wird es sicherlich ein knappes Rennen, da unterschiedliche Koalitionsmodelle möglich sein werden. In wenigen Wochen wissen wir mehr.